Frotteefrosch – The Brazilian Chapters

Briefe aus dem brasilianischen Exil – eine schriftliche Dokumentation mehr oder weniger alltäglichen Wahnsinns

> Chapter I

Chapter II

Chapter III

Interlude

Chapter IV

Chapter V

Epilogue

Chapter I

nach dem ich jetzt 10 tage im brasilianischen exil verbracht habe ist es wohl mal an der zeit, was von mir hören zu lassen. für mich im übrigen eine gute gelegenheit, mal einen reality-check durchzuführen

…processing…

solange eine zusammenfassung der ereignisse:

ich bin letzte woche freitag in rio angekommen und dort morgens um neun gleich zum busbahnhof gegurkt zwecks weiterreise nach sao paolo. entgegen vorheriger angaben war es nicht notwendig, den querschlägern sich bekriegender strassenbanden und den leprösen fingern bettelnder kleinkinder auszuweichen um das innere des busbahnhofs zu betreten. ich kam mir im gegenteil etwas ignoriert vor, weil sich noch nicht mal jemand genötigt fühlte mir eine sonnenbrille oder gefälschte rolex andrehen zu wollen. wohin jetzt mit all dem extra für den kampf gegen kriminelle und konsumpropagandisten angesammelten mut und adrenalin? nun gut, investieren wir ihn in den kauf einer busfahrkarte, um nach dem kauf festzustellen, dass der bus in 5 minuten an irgendeinem der ca 75 terminals abfährt aus denen der busbahnhof besteht. gott sei dank sind wir ja in brasilien und für die fernreisebusse existiert ein akademisches viertel von etwa einer halben stunde, aber das weiss man auch erst wenn man mit zwanzig kilo sperrigem gepäck wie ein bescheuerter durch die gegend gerannt ist und die halbe stunde dann verschwitzt im bus sitzt, um festzustellen, dass man den durch transpiration bedingten wasserverlust erst bei der nächsten längeren pause wieder wird ausgleichen können, da man vergessen hat was zu trinken kaufen.

überspringen wir den portugiesischen bambusverkäufer im bus der mir das ohr abgekaut hat und die tatsache, dass ich eine dreiviertelstunde lang versucht habe die hiesigen telefonzellen (übrigens viel zu niedrig) zu verstehen, und sagen wir ich bin heil und ohne probleme in sao paolo bei flavia angekommen. irgendwie wars schon relativ spät und wir waren beide ziemlich fertig und wollten früh pennen gehen, aber dann war da der bruder, die limetten und der vodka und man ist dann doch am samstag verkatert aufgewacht; um dann zu stella zu fahren, in deren wohnung flavia eine kleine ausstellung hatte, von da aus dann zum nächsten wochenendmarkt, in die kneipe daneben… man muss sich das ungefähr so vorstellen, dass da eine kneipe existiert, wo die leute draussen sitzen. dann kommen vier leute mit trommeln, fangen an mit den leuten musik zu machen. dann fahren zwei busse vor, die hamburger und noch mehr bier verkaufen und dann ist es sonntag und man hat schon wieder pelz auf der zunge. macht nichts, bis zum abend hat man sich erholt und – mir ist echt nichts erspart geblieben – fährt abends in eine schwulen-und-lesben-hardcore-80erjahre-disco mit liveshow. wenn man dann so zwischen den sich ableckenden brasilianern steht, um einem übergewichtigen typen in ganzkörper-leggins dabei zuzusehen, wie er zu schlechtem tribal-house seinen totenkopfstab schwingt, ist man sich nicht mehr so sicher, wo man jetzt gelandet ist. der beste anhaltspunkt ist wohl der caipirinha-preis…

so weit, so gut. sao paolo ist für brasilien wohl etwa so typisch wie berlin für deutschland. hier hocken ca. 20 millionen leute aufeinander und da geht natürlich die post ab, es gibt jede menge einwanderer und was ich ich bisher so an musik gehört habe geht echt gut vorwärts. was die brasilianer angeht, die sind echt ein ziemlich angenehmes völkchen. die beiden mädels, mit denen ich hier unterwegs bin sind eher still, aber abgesehen davon bin ich ja vom reisen her eher an asiatische marktschreier gewöhnt und dagegen sind die hier ein sehr dezenter haufen. alle super freundlich und im gegensatz zu deutschland hat man auch keine probleme mit sprachneulingen, auch wenn die bitte, doch etwas langsamer zu sprechen, an den leuten abperlt wie wasser an einer möwe im ölteppich. was das betrifft bin ich auch noch etwas gefrustet und versuche gerade, das problem mittels sprachunterricht bei einem hiesigen literaturstudenten zu beheben. verdammt schwer, seine persönlichkeit zu bewahren, wenn vokabeln wie krass, hardcore und obergeil nicht zur verfügung stehen.

ich denke das ist fürs erste genug information. zu abschluss noch ein kleiner tip für brasilienreisende: wenn ihr auf einer party nach, sagen wir mal ausreichendem, alkohol- und und marihuanagenuss beschliesst aufs dach zu klettern, um mal zu sehen ob man dort ein schönes foto von der stadt machen kann, dann passt auf, dass ihr auf dem rückweg nicht durchs dach den innenhof des nachbarn brecht der sich zuvor schon über den lärm beschwert hat. es drohen schadensersatzklage und platzverweis (morgens um vier im aussenbezirk von sao paolo nicht grade angenehm), mal abgesehen von den blauen flecken die ich mir dabei geholt habe. (katya! ich brauche dringend die telefonnummer von natalias schwester! ich hab sie verloren und muss mich da melden, damit sie mir sagen kann, wie die ganze geschichte ausgegangen ist, abgesehen davon, dass ich mich nochmal entschuldigen wollte, dass ich die geburtstagsfeier geschmissen habe…)

wieder was gelernt.

bis bald, f

Chapter II

uffa!

da schaut man mal kurz nicht auf die uhr und schon hat man sich seit sieben wochen nicht mehr gemeldet. mittlerweile ist man ein ein jahr aelter, die zelte in são paulo sind abgebrochen und der amazonas hat einem den ersten parasiten geschenkt, man hat sich bedankt und bus und boot nach fortaleza genommen. und wie das so ist, steht man vor dem haufen erlebnis der sich da im hinterkopf auftuermt und fragt sich, wie mans dem kinde denn nun beibringen soll, ach haette man sich doch mal frueher hingesetzt…

also eifrig drauf los und mit sowenig system wie moeglich:

ich habe gerade einen unfreiwilligen aufenthalt von einer woche in dem kleinen dorf alter do chão hinter mir, dessen reiz aus furchtbar schoenen amazonasstraenden besteht, die man aber nur wirklich geniessen kann wenn die bank sich nicht im streik befindet und deshalb das geld fuer unterkunft und verpflegung ausgeht. andererseits hat mir diese kleine lektion in sachen unterernaehrung eine der interessantesten begegnungen meines lebens beschert, naemlich thommy. ueber thommy muss dringend mindestens ein buch geschrieben werden! von oben bis unten voll mit knast-tatoos und mit berliner dialekt eigentlich eher eine erscheinung die zur flucht anregt, nachdem man dem ganzen touri-volk bisher erfolgreich aus dem weg gegangen ist. aber ich hatte mir vor meiner reise ja vorgenommen in zukunft oefter mal ja als nein zu sagen und so erschloss sich mir bei der ersten sauftour sein universum. der gute ist mitte 50, vor zwei jahren auf der flucht vor der steuerfahndung hier gestrandet und hat sich gleich sein gesamtes geld von einem anderen deutschen wieder abnehmen lassen, um dann den rest der zeit im dorf als obdachloser zu verbringen. dementsprechen wenig hatte er auch auf den rippen. mittlerweile darf er immerhin fuer ein bischen essen und unterkunft das wochenendhaus eines santarémers bewachen und dort haben wir gemeinsam feierlich einen fetten schmorbraten mit kartoffeln nach deutscher art (ohne bohnen und reis!!!!!) verzehrt. dabei habe ich einiges gelernt, unter anderem, wie man sich erfolgreich aus einem missglueckten mordversuch an der ex-ehefrau herausredet (6 monate haft), dass einem nach einer schusswunde am kopf (russischer autoschieber) alle zaehne am oberkiefer ausfallen und wie man im knast zu geld kommt. moege dies wissen auf ewig ohne nutzen fuer mich sein! spaeter am abend gabs dann noch eine kleine kleine vorlesestunde mit kindergeschichten, die er fuer die tochter eines freundes geschrieben hat. janosch kann nach hause gehn! wer seine story mit deen vier pferden im wohnzimmer hoeren will muss mich zum schmorbraten einladen (ich nehm auch knoedel statt kartoffeln ;-)

meine zeit in são paulo war irgendwo zwischen ereignislos und unterhaltsam. nach einer kleinen krise gings wieder aufwaerts und bis zu meiner geburtstagsfeier mit fett strobo, nebelmaschine und 3 djs in meinem wohnzimmer war ich wieder in bester verfassung. an dieser stelle ein glaeschen sekt fuer euch alle, die ihr da in der ferne an mich gedacht habt:

pling!

das transportwesen und die distanzen in dieser stadt haben mich zwischenzeitlich so dermassen genervt, dass ich unter den unglaeubigen gesichtern meiner mitmenschen aufs fahrrad umgestiegen bin, nicht zuletzt um auch gevatter fettbauch eins auszuwischen, der hier an jeder ecke in form von fettigen koestlichkeiten lauert. an dieser stelle ein kurzer schwenk in die brasilianische recht- und billigschreibung: es gibt ungefaehr so viele moeglichkeiten das wort cheeseburger zu schreiben wie es sandkoerner in bahia gibt, aber alle fangen mi X an. der gutglaeubige deutsche vermutet weiterhin hinter einem hot dog ein stueck brot in dem sich ein wuerstchen befindet, garniert mit zwiebeln, ketchup, senf und eventuell kaese. ich wuensche dem geneigten individuum hier viel spass bei der suche nach der wurst. sie muss da irgendwo sein! versteckt zwischen mais, spiegelei und kartoffelbrei! hat man das ueberwunden und fuer hoffnungslos erklaert und das stueck schande im brot enttaeuscht nach dem naechsten bettler geworfen, kann man von glueck sagen, wenn man nicht direkt danach zusehen muss, wie so ein koch? ein flasche schokosirup ueber einem stueck pizza mit erdbeeren ausdrueckt.

versteht ihr jetzt die feier mit dem schmorbraten?

man gewoehnt sich an alles. die dinge funktionieren auch ohne tüv, biostudenten in manaus hoeren meditationsmusik zum einschlafen und zum aufstehen und in são paulo braucht man keinen wecker weil jeden (jeden!) morgen um halb acht das paerchen untendrunter mit streiten anfaengt.

strukturelles:

ich habe mich zwischenzeitlich mit dem regisseur der theaterkompanie getroffen, bei der ich mein praktikum machen werde. mein job wird irgendwo in der richtung technische assistez und kommunikation zwischen viedeoteam und regie liegen. auf jeden fall machen die jungs hier keine halben sachen und ich hab das gefuehl, besser haett ichs nicht treffen koennen. das stueck an dem wir arbeiten ist eine adaption des romans “the subject steve” von sam lipsyte, ein buch das ich euch ans herz legen moechte, vorausgesetzt ihr seit nicht zu zart besaitet und habt einen faible fuers morbide.

so, ich wuerde sagen, das reicht jetzt erst mal. ich hoffe, mir ist niemand boese, wenn ich seine mails nicht persoenlich beantwortet habe, aber die internet-cafes hier sind so dermassen ueberklimatisiert, das ich jedes mal angst habe, mir eine grippe zu hollen, wenn ich laenger als 5 minuten drinne sitze. ist so, als wuerde man sich in deutschland zum email-schreiben im t-shirt auf die strasse setzen. natuerlch interessiert mich brennend, was daheim so vor sich geht (wie gings weiter mareike?), auch wenn jeder immer nur uebers wetter meckert und sagt, es tut sich nicht viel.

seid gegruesst und umarmt! felix

28. september, frotaleza, praia beira mar, 33°C

Chapter III

hallo zusammen!

ich hab gerade voellig aus den augen verloren, wann ich das letzte mal von mir hab hoeren lassen, aber der unterton in den mails die mich von zeit zu zeit erreichen laesst auf einige wochen schliessen. dementsprechend schwierig ist es, an die letzte mail anzuknuepfen, da da nicht nur viel zeit, sondern auch noch zwei- bis dreitausend kilometer dazwischen liegen.

bleiben wir mal in curitiba:

die letzten 4 wochen hab ich bei lucis eltern verbracht, ganz furchtbar nette menschen mit ganz viel obst und gemuese im garten und einem guten geschmack in sachen rotwein. letzte woche bin ich dann in dieses haus hier gezogen, das von leuten bewohnt und frequentiert wird, die der ansicht sind, die welt sei dem untergang geweiht und nur zu retten, indem wir unseren kalender auf den der alten maya umstellen, in dem jeder monat 28 oder 31 tage hat. wenn ichs richtig verstanden hab gefaellt mutter erde der unregelmaessige rythmus von mal 30, mal 31 und einmal 28 tagen nicht und eines tages wird sie sich straeuben und uns alle… naja, wer mehr wissen will kann mittwochs am unterricht teilnehmen, der in unserem garten an der feuerstelle stattfindet.

ich halte mit meiner meinung, dass sich mutter erde um unseren kalender soviel schert wie ich (den wievielten ham wir heute?) derweil hinterm berg und versuche mich hier einigermassen wohnlich einzurichten, da mein zimmer keine moebel hat. immerhin verfuege ich mittlerweile ueber eine haengematte und eine matraze, die mich schon fast ueber das fehlen des kuehlschranks hinwegtroesten. weniger trostreich die tatsache, dass die vormieterin vor ein paar tagen in meiner abwesenheit ihre duscharmatur und den topf abgeholt hat (DEN topf! …seufz… es gab nur den einen). da wir noch ein zweites bad haben, dachte ich mir, das mit der armatur sei nicht weiter tragisch.

an dieser stelle eine kurze einfuehrung in brasilianische duschkultur: boiler sind in diesem land ein eher seltenes phaenomen, stattdessen gibt es eine elektrisch beiheizte duschbrause, die ueber eine offenliegende drahtkonstruktion mit den landesueblichen 220 volt versorgt wird, aber keine sorge, die schlaege die man abbekommt wenn man waehrend des betriebs die temperatur umstellt werden durch das plastikgehaeuse ein wenig abgeschwaecht und helfen lediglich beim aufwachen…

nicht so in unserem haus, oh nein. hier reichte das blosse aufdrehen des wassers, um mich in einem blitzgewitter im stil pressekonferenz meine pläne hinsichtlich morgentlicher koerperhygiene nochmal ueberdenken zu lassen.

angesichts solch hochwertiger technik kein wunder, dass die mehrheit des landes die finger von gasboilern laesst…

immerhin, ich wohne in einem schoenen haus mit garten in einer ruhigen ecke nahe des stadtzentrums und bin viel mit dem fahrrad unterwegs, wenn das wetter es zulaesst. klar, dass sich eine stadt die hauptsaechlich aus den nachkommen deutscher und polnischer einwanderer besteht in einer klimazone befindet, die grauen himmel und fascho-wetter beguenstigt. als ich hier ankam war ich denn doch ein wenig frustriert, nachdem ich 44 stunden zuvor in recife bei angenehmen 30 grad aussentemperatur in den bus gestiegen war. mein koerper hat auf den kühlen empfang (10 bis 15 grad, regen) dann auch spontan mit grippe reagiert. wer mir jetzt weissmachen will, 10 grad seien doch beileibe nicht so schlimm, in deutschland hats ja schon geschneit und so, dem sei gesagt, dass das pack das sich hier angesiedelt hat sich zwar solch kulturelle errungenschaften wie schlachtfest und rassismus teilweise hat erhalten koennen, aber vergessen hat, wie man haeuser baut, die mehr schutz vor witterung bieten als ein regenschirm. folglich liefert das innere eines jeden hauses hier einen mehr als authentischen eindruck von der aussentemperatur und da wo bei uns die heizung ist kann sich der geneigte gast einen schrank mit decken und jacken hinstellen.

das wetter hier ist aber nur ein unterschied von vielen. curitiba ist von vorne bis hinten durchorganisiert und im ganzen land fuer seine vielen gruenflaechen bekannt. es gibt fahrradwege und behindertengerechte bushaltestellen, die hochhaeuser sind auf bestimmte stadtteile beschraenkt und der verkehr funktioniert auch zu den stosszeiten einigermassen. im gegensatz dazu verhaelt sich sao paulo beispielsweise wie ein wucherndes geschwuer, wo sich morgens und abends fuer jeweils 3 stunden gar nichts bewegt. so viel ordnung hat natuerlich auch ihren preis. die stadt ist etwa so aufregend wie frankfurt. im gegensatz zum rest von brasillien, wo sich das leben hauptsaechlich auf der strasse abspielt gibt es hier so gut wie keine strassenstaende und die abwesenheit von fussgaengern hat mir in den ersten tagen agrophobische zustaende beschert. zusaetzlich sind hier alle der ansicht, es sei auf der strasse furchtbar gefaehrlich und ein guter teil der (wohlhabenden) bevoelkerung verschanzt sich in von mauern umgebenen siedlungen und vergnuegt sich in shopping-mals und geschlossenen clubs. gefaehrlich ist es auf der strasse tatsaechlich, aber das liegt eher daran, dass die abwesenheit von staus den leuten hier die gelegenheit gibt, ihren grauenhaften fahrstil bei hoeheren geschwindigkeiten auszuleben.

die curitibanos haben im rest von brasilien den ruf, seltsam und distanziert bis unfreundlich zu sein, vielleicht komm ich deswegen ganz gut klar hier. tatsache ist, die leute hier sind immer noch so dermassen nett und hilfsbereit, dass man vor scham erroetet wenn man sich vorstellt, wie sie wohl in deutschland empfangen wuerden. andereseits waren die meisten die ich hier getroffen habe schon mal in deutschland oder haben zumindest einen bruder oder eine cousine, die da studiert, was die kommunikation um einiges einfacher macht. nicht, weil die so gut deutsch koennen (nee, das nicht), sondern weil ich im laufe meiner reise die erfahrung gemacht habe, dass leute, die schon mal weiter gereist sind, eine weniger abstrakte vorstellung von “ausland” haben, von einer hoeheren fehlertoleranz bei der sprachverstaendigung mal ganz abgesehen. ich hab in der ersten woche hier murilo kennengelernt, den regieassistenten von dem stueck an dem ich mitarbeiten werde. seitdem waren wir eigentlich fast jeden tag zusammen unterwegs und ich schneide den kurzfilm, den er mit ein paar anderen im letzten jahr gedreht hat (huebsches ding, premiere ist am 7. dezember, ich zeig ihn euch dann wenn ich zurueckkomme). vor allem habe ich endlich leute gefunden, die ueber mich lachen koennen.

so, das sollte dann auch erst mal reichen, um euch ein bild von meiner augenblicklichen lage zu verschaffen. bleiben unerwaehnt der rest meiner reise, insbesondere beschreibung von recife, wo ich auf jeden fall nochmal hinfahren werde und ausfuehrungen ueber die art und durchfuehrung meines praktikums. eines soll jedoch nicht unerwaeht bleiben. erinnern wir uns: in der zweiten woche meines aufenthalts hier bin ich in recht benebeltem zustand durch das dach eines hauses in sao paulo gebrochen, eine handlung fuer die die einheimischen hier wenig verstaendnis aufbringen konnten. in recife wurde ich von meiner isolation befreit, als ich till kennengelernt und nach dem grund fuer sein hinken gefragt habe. im gegensatz zu mir ist der gute aber im 2. stock eines verlassenen hauses gelandet, aus dem er sich erst im morgengrauen wieder befreien konnte. wenn ihr also vorhabt, euren horizont in diesem land durch ersteigen von daechern zu erweitern, vergesst die tretleiter nicht.

mit diesem guten ratschlag entlasse ich euch nun wieder in euren deutschen alltag (so ihr denn grade in deutschland seid, huhu annika!). zieht euch warm an und vergesst das schreiben nicht (ich freu mich schon auf lucis wutentbrannte richtigstellung meiner eindruecke ihrer heimatstadt).

felix

ps: ich hab jetzt auch sowas wie ein telefon bin unter der nummer 0055 41 XXXXXXX zu erreichen, allerdings befindet sich das telefon in der garage, fuer die ich zwar seit heute einen schluessel habe, aber so ich denn die klingel hoere, muss ich erst durch den garten rennen und dann ein tuerschloss und ein vorhaengeschloss entfernen. alternativ dazu habe ich mir gegen meine sonstigen angewohnheiten ein handy geliehen (XXXXXXXX). das funktioniert aber nur zwei meter ueber meinem zimmerboden auf dem fensterrahmen. ich muss also dann schnell einen stuhl holen und… naja versuchts halt mal, aber lasst es lange klingeln.

Interlude

Eine Küche in Curitiba. Ella Fitzgerald aus Laptop-Lautsprechern untermalt von gedämpften Pärchenstreitgeräuschen aus dem Nebenzimmer. Der Geruch von gekochtem Reis (leicht angebrannt) und Gemüse. Die Temperatur etwa 7 Grad unter Brasilianisch-Null (folglich meiner neuen Temperaturberechnung, die den Nullpunkt bei ca. 25 Grad Celisius ansiedelt) und der Himmel ist strahlend grau. Angesichts der zwei Tage Sonne die wir hatten ist statistisch gesehen jetzt wieder mit einer Woche Regen zu rechnen und so schreibe ich diese Zeilen einhändig, die rechte zornig gen Himmel schüttelnd und voller Sorge um die an Silvester an der Copacabana mühselig angebruzelte Bräune.

Letztlich kann mir das Wetter dann doch auch wieder egal sein, schliesslich verbringe ich die meiste Zeit des Tages in verdunkelten Räumen mit halbschizophrenen verkleideten Gestalten. Die sind wiederum extrem unterhaltsam und selbst wenn ich mein Lebtag nie wieder Portugiesisch sprechen sollte, hat sich der ganze Aufwand schon allein für die 3 Monate mit dieser Truppe gelohnt.

Mittlerweile wurde Ella Fitzgerald gegen Meditationsmusik ausgetauscht.

Seufz.

Die 20 Leute, die auf dem Weg zum World Social Forum bei uns Station gemacht haben sind heute weitergereist. Nur mit Mühe konnte ich einen Vollbärtigen 54jährigen Sitarspieler mit Zahnspange (?!) davon abhalten, mein Zimmer mit Räucherstäbchen zu vernebeln, um seine Tochter und seine Freundin (welche von beiden jünger war weiss ich nicht) mittels Moschusgeruch einzuschläfern. Ein weiterer Schlag gegen das ansässige Establishment, getoppt einzig durch die Hamburger die ich in der Pfanne der Vegetariergemeinde zubereitet habe und meine private Cachaça-Flasche im Antialkoholiker-Kühlschrank. Rebel On!

Soweit aus meiner Richtung. Und ihr so?

Quak! Felix

Chapter IV

kennt ihr mich noch?

lang, lang ists her, dass ich von mir hab hoeren lassen, doch damit ist jetzt schluss. der gips ist runter und meine hand wieder einsatzbereit (bis auf den kleinen finger, der macht immer noch zicken und will sich nicht so richtig einfuegen, aber ich habe mir kurz vor meiner abreise aus curitiba noch von meinem mitbewohner sagen lassen, das mein kin – blauer sturm, familie der portale – den kleinen finger als empfindlichste antenne meines koerpers auszeichnet. kein wunder also, dass der gute so aufsaessig ist). statt euch ueber die genaueren umstaende meiner gesundheitsbedingten schreibschwaeche einzuweihen, gibts an dieser stelle ein kleines gewinnspiel:

wer kann mir die kreativste erklaerung dafuer liefern, dass sich ein erwachsener mensch im huefthohen wasser die hand bricht? die unterhaltsamsten zuschriften nehmen an der verlosung teil, der gewinner erhaelt eine mehrfach signierte gipsstatue, verziert mit einer zeichnung aus der serie “as puta veia” der kuenstlerin/schauspielerin mareen miranda. die version “faustkampf mit angetriebenem kaenguru” ist uebrigens bereits vergeben.

ich hoffe, das bringt ein wenig bewegung in mein doch recht angestaubtes postfach…

meine residenz hat sich inzwischen wieder zum ursprungspunkt hin verschoben, ich wohne einmal mehr mit stella und mit wallace, der zur zeit meiner ankunft in brasilien noch in japan verweilte, in einem apartment in sao paulo. als ich wallace zu ersten mal getroffen habe, hat er grade das handy seines ex-freunds aus dem fenster geworfen und danach dessen auto demoliert, aber im grunde ist er ein echt lieber und ruhiger mensch und wir haben hier jede menge spass. trotzdem hab ich in den ersten tagen versucht, ihn nicht zu veraergern, was sicher einfacher gewesen waere, wenn ich nicht gleich beim ersten fruehstueck den mixer funktionsuntuechtig gemacht haette. das paerchen untendrunter, das mich im ersten monat puenktlich um halb acht morgens mit seinen streitigkeiten aus dem schlaf gerissen hat, ist mittlerweile ruhiger geworden. obs an einer ehetherapie lag oder einfach nur einer von beiden letztlich doch zur waffe gegriffen hat, ist noch unklar. insgesamt bin ich auf jeden fall sehr beeindruckt vom destruktiven potential dieses warmherzigen volkes. am wochenende war ich bei meinem ersten fussballspiel und hatte gelegenheit, mein vokabular um einige beleidigungen zu erweitern. am schluss gingen dann die spieler mit gutem beispiel voran und zeigten, dass sie auch was vom boxen verstehen. die fans der gastmannschaft haben den faden auch gleich aufgegriffen und das stadion angezuendet. 1a vorstellung, das! ich war ja am anfang noch skeptisch, als gustavo meinte, wir sollen zusehen, dass unsere klamotten keine farbe der beiden manschaften haben, um bei der keilerei danach als neutral durchzugehen, aber nachdem wir einen kilometer vom stadion entfernt noch auf polizisten trafen, die mittels schuessen in die luft versucht haben, der lage herr zu werden, hat sich das ausleihen eines gelben t-shirts zur tarnung wohl doch gelohnt.

das spiel war auch gleichzeitig die einfuehrung meines kleines kleinen bruders und seines freundes in die hiesigen sitten und gebraeuche. ich geh mal davon aus, sie werdens so schnell nicht vergessen und benehmen sich entsprechend, wo auch immer sie sich gerade befinden moegen(jungs meldet euch mal, damit ich weiss, dass sie euch in rio nicht gleich entfuehrt haben!).

tja, ich glaube ich hab bis jetzt noch kein einziges wort ueber mein praktikum verloren. ich war anfangs ein wenig frustriert, weil ich den eindruck hatte, es gaebe fuer mich nichts zu tun. tatsaechlich ist mein status bis zum ende eher vage geblieben, da sich der regieassistent geweigert hat, die von mir angebotene hilfe in anspruch zu nehmen, aber letztlich hab ichs dann doch geschafft, mich insbesondere bei der konzeption des ganzen einzubringen. die proben selbst waren extrem unterhaltsam, da es sich bei den schauspielern nicht nur um extrem talentierte darsteller sondern auch um exzellente komoedianten handelt. insgesamt kann ich sagen, dass es sich, selbst fuer den fall, dass ich nie wieder ein wort portugiesisch sprechen sollte, uuf jeden fall gelohnt hat, diese sprache zu lernen, nur um mit diesen leuten hier zu arbeiten. die kompanie selbst, bestehend aus dem regisseur und zwei der schauspieler, ist eine der wichtigsten brasiliens und ich hatte zum ersten mal das gefuehl, mit theaterleuten zu arbeiten, die dieselben vorstellungen von aesthetik und konzeption haben wie ich. das stueck selbst ist eine adaption von comics von will eisner, dem vater des comic-buchs, der leider gottes gleich zu beginn der proben einem herzinfarkt erlag. ich will mich eigentlich gar nicht weiter darueber auslassen, weils mir gerade zu anstrengend ist und mein deutsch sich umgekehrt proportional zu meinem portugiesisch verhaelt, will heissen es war schon besser und ich zweifle bei jeder formulierung, obs so ueberhaupt funktioniert.

ausserdem solltet ihr alle jetzt flugs mal eure grauen zellen beschaeftigen, um euch einen netten aufsatz auszudenken, der mir ein paar momente exquisiter kurzweil zu beschert. nebenbei koennt ihr mich dann mal darueber informieren, was bei euch so vor sich geht. alles was ich in letzter zeit aus deutschland gehoert habe, waren nachrichten ueber politiker, die meinen, man muesse mehr auf die beduerfnisse von npd-waehlern eingehen. ich hab mir ja weinig illusionen gemacht, dass deutschland in meiner abwesenheit den kampf gegen stumpfsinn und virulente bloedheit gewinnt, aber inzwischen beginne ich schon, mich ueber die brasilianischen asylformalitaeten zu informieren.

abraços do país tropical, felix

Chapter V

tristes bahia!

dem wahnsinn são paulos entflohen hab ich in salvador unterschlupf gesucht, wo sie einen sehr bekoemmlichen nelkenschnaps namens cravinho verkaufen, der die kommunikation bei genuss ebenso vereinfacht wie er sie am morgen danach erschwert. das zeug ist dermassen beliebt, dass es einem, wenn man sein glas mal fuer ne minute abstellt, auch sofort geklaut wird. wenn man diesen umstand dann bei dem zerlumpten kind im vorschulalter reklamiert, das da soeben leicht angetrunken mit dem kuerzlich erworbenen wundertrunk wegtorkelt, macht man meist bekanntschaft mit dem lokalen faekalvokabular und in selteneren faellen stellt eins der baelger auch mal seine ballistischen faehigkeiten mittels leerer getraenkedosen unter beweis. gott sei dank ist der alkohol billig und kann ohne groesseren aufwand ersetzt werden – mit den entsprechenden folgen…

gott sei dank auch, dass wir ja in den ferien sind und ausschlafen koennen. morgen ist ostersonntag da ruht man sich ja traditionsmaessig aus, denkt der laie noch kurz vor dem eintritt ins delirium, aus dem er wenige stunden spaeter wieder erwacht – dank der sambatruppe in doppelter besetzung mit zehnkoepfigem blaesersatz die unter seinem fenster vorbeidonnert und zu allem ueberfluss noch von einem irren mit feuerwerkskrachern begleitet wird. wenn man die klaeglichen reste seines verkaterten gehirns dann von der wand gekratzt und dem urspungsort wieder zugefuehrt hat, kann man dann zum fenster kriechen, um festzustellen dass die jungs alle in ganz furchtbar laecherlichen hawaiihemden gekleidet und als clowns geschminkt sind.

…dem wahnsinn wieder ein schritt naeher…

soviel zu ostern, leute. das einzige dicke ei hier sitzt zwischen meinen schultern und ich kann nur hoffen, dass die die ihr findet frischer sind.

der ff

ps: ich bin in so ca. in 14 tagen wieder im alten europa und freu mich da auch ziemlich drauf. stellt also schon mal das weizen kalt…

Epilogue

tja, was sagen?

ich bin mir nicht sicher, ist das der kulturschock, der nach sieben tagen vollgepackt mit seminaren in medientheorie und gestaltergetexte in kombination mit deutschem bier dafür gesorgt hat, dass sich die gedanken an das tropenland auch schon wieder so weit entfernt haben wie mein körper von dem realen ort? man steigt in frankfurt aus dem flieger und schlagartig reden alle im bus nur noch von der arbeit. und das auch nur ganz leise.

überhaupt: ist es so schön still hier. ich kann die vögel hören. meine stimme macht wieder einen unterschied in der landschaft. aber das beste ist der geruch. es riecht nach regen, ein bisschen noch nach schnee, und irgendwo kitzelts weiter hinten in der nase und man ahnt…

…dass da gerade eine nasenschleimhaut sich die augen reibt, weil nach achtmonitger untätigkeit die nächste heuschnupfensaison wieder beginnt.

aber irgendwas geht ja immer schief.

auch wenns viele nicht glauben wollen, es ist verdammt schön wieder zuhause zu sein. ich freu mich wie ein kleines kind über alle kleinigkeiten (und schreib dementsprechend pubertätsartig poetischen kram dahin) und hoffe, ich lebe noch lange genug um diese stimmung auszukosten. immerhin haben sich in meiner abwesenheit einige unfälle ereignet, die mich über den abschluss einer lebensversicherung nachdenken liessen. fernseher und radiowecker gehen plötzlich in flammen auf und ich frage mich ob ein brand, der durch vergessenes epilierungswachs auf dem gasherd ausgelöst wird, als ebenso würdelose todesursache angesehen werden kann wie verbluten beim zehennägelschneiden.

in diesem sinne noch ein schönes wochenende, felix

ps: nach einem vierstündigen schlagabtausch mit unserer isdn-anlage habe ich dieselbe zur wiederaufnahme ihrer arbeit bewegen können. das bedeutet, man kann mich künftig unter dieser nummer erreichen: 03643/XXXXXXX

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