Geht’s noch?

Ein kleines Katastrophentagebuch

ÜBER DEN AUTOR:
Felix Obée ist Diplom-Mediengestalter und lebt in Leipzig. Zur Zeit bestreitet er seinen Lebensunterhalt mit Telefonpropaganda für eine chaotische Vereinigung Schweizer Zinsmutanten und verdient dabei mehr Geld als bei jedem Job für den er sich in den letzten Monaten aufgrund seiner Berufsqualifikation beworben hat (siehe unten).

Einleitung

Wenige gutgesinnte Mails erreichen mich dieser Tage und auch ich genieße lieber die sonnigen Launen der Natur als mich der Sozialisation als solcher zu widmen. Trotzdem kommt es doch immer wieder zu der ein oder anderen Kontaktaufnahme, man trifft emotionale Altlasten im Stammdöner, etc., und diese Treffen werden traditionsgemäß mit dem Satz “Wie gehts dir?” eröffnet. Nun bin ich ja ein Mensch, der den Leuten selten den Gefallen tut diesen Teil der obligatorischen Konversation einfach mit einem “Gut, Danke, und selbst?” abzunicken. Wer Fragen stellt muß auch mit einer Antwort rechnen und die fällt in diesem Fall dann doch etwas länger aus, da ich sie momentan beantworte indem ich die Ereignisse des Pfingstwochenendes vortrage, damit sich jeder sein eigenes Bild machen kann. Nun bin ich es aber langsam müde diese Geschichte wieder und wieder zu erzählen, also, dachte ich mir, nutze ich einfach mal den Anlass, um generell mal wieder von mir hören zu lassen. Wer mich in der letzten Woche in Leipzig angetroffen hat oder mit mir telefonierte kann einen Großteil dieser Zeilen getrost ignorieren und beim Epilog weiterlesen, schadenfrohe Zeitgenossen können sich den Inhalt aber gerne trotzdem und wiederholt auf der Zunge zergehen lassen.

Donnerstag, 24.5.07

Überrascht und hocherfreut hatte ich eine Woche zuvor eine Einladung zu einem Gespräch mit Sven von XXXXXXX erhalten, eine Eventagentur in Berlin die sich auf Tanz, Performance und interaktive Projektionen spezialisiert hat. 1A das, genau was ich machen will, und nachdem ich mich im Februar dort beworben und erstmal eine Absage bekommen hatte konnte auch die Tatsache, dass ich nach einer ereignislosen Anfahrt im Auto für die letzten 500 Meter Luftlinie eine Stunde gebraucht habe meine Laune nicht trüben.

Sven war so freundlich wie ein Berliner Busfahrer im Winter, aber immerhin kam man ins Gespräch und ich hatte den Eindruck, meine Erfahrungen der letzten Jahre in Sachen Theater, Projektion, Interaktion, Labelarbeit, Filmschnitt, Veranstaltungsorganisation etc. seien das was gebraucht werde, und tatsächlich sah alles vielversprechend aus: man suche jemanden längerfristig, mit dem man auch mal für ein paar Wochen ins Ausland gehen kann usw… Und so hätte ich die Hauptstadt auch noch viel glücklicher wieder verlassen können, wenn mir nicht beim Abschied noch eingefallen wäre nach der Bezahlung zu fragen… Inspiriert von Hunter S. Thompsons “Rum Diaries” verbrachte ich die nächsten Stunden mit einem Glas Rum und attraktiver Begleitung und sinnierte über den Sinn meines Studienabschlusses und darüber, wie man wohl von 300 Euro Praktikantengehalt leben kann. Immerhin: meine Mitbewohnerin Frizzi äußerte sich positiv darüber, auf meine Anwesenheit in Leipzig auch in Zukunft nicht verzichten zu müssen.

Freitag, 25.5.07

Da das Telefonieren für die Schweizer auf die Dauer langweilt, dachte ich mir ich verdinge mich mal als Abbauhelfer beim Grönemeyerkonzert. Ein bisschen körperliche Betätigung nach der Enttäuschung des Vortags wäre meiner geistigen Verfassung sicher zuträglich gewesen, wenn nicht…

Dass die für mich zuständige Person zuerst einmal nicht in der Lage war den richtigen Eingang ins Stadion zu finden hätte mir eine Warnung sein sollen. Einmal eingeschleust in das Stadion händigte man mir gegen 22:00 Uhr ein gelbliches T-Shirt aus und ich gesellte mich zu etwas, was man als Reservebattalion des Arbeitslosenheeres bezeichnen könnte, und kurz darauf zogen wir mit Hämmern bewaffnet in die Schlacht gegen eine übergroße Bühnenkonstruktion. Es wurde ein Gemetzel: begleitet von einem sintflutartigen Wolkenbruch schlug das Pack ohne Sinn und Verstand auf unschuldige Lichttraversen und Baugerüste ein. Im Eifer des Gefechts verwechselten manche gerne auch mal Freund und Feind und ich war hauptsächlich damit beschäftigt, den umherwirbelnden Stahlstangen auszuweichen. Bei der Demontage der Bodenplatten vergaßen meine Kollegen, mich davon zu unterrichten, dass sie die Platte hinter mir weggenommen hatten und wenn die Plastikfolie darunter nicht lange genug gehalten hätte, dass ich mich rettend zur nächsten werfen konnte, wäre ich um die Erfahrung eines Falls durch 3,5m Baugerüst reicher gewesen, so sie mir die 2x1m Sperrholzplatte die ich gerade zog nicht gleich wieder aus dem Kopf geschlagen hätte. 5 Euro pro Stunde bekamen die Jungs dafür, und das haben sie auch verdient.

Samstag, 26.5.07

Morgens um 8 war der Spuk endlich vorbei und ich konnte nach Hause. Der Plan: meinen regendurchweichten Körper durch eine viertelstündige heiße Dusche in einen embryonalen Zustand zu vesetzen und dann 8 Stunden später aus frischen Laken wiederaufzuerstehen. Beim Ausschütteln der Bettwäsche flogen ein Stift und andere Dinge aus dem dritten Stock in den Garten. Ich kümmerte mich zunächst nicht weiter drum, aber nachdem ich ausgeschlafen hatte vermisste ich mein Handy. Wenn man dem Tod gerade von der Schippe gesprungen ist, werden Dinge wie 300 Euro teure Smartphones plötzlich relativ unwichtig, zumal wenn sie schon 1 1/2 Monate alt sind. Ich beschloss also mich nicht weiter aufzuregen und lieber einen Film zu schauen, aber daraus wurde nichts, da meine externe Festplatte just beim Einschalten den Geist aufgab.

Abends bekam ich Besuch aus Brasilien. Wenn man sich 2 Jahre nicht gesehen hat und sich nicht erst darüber unterhalten muß, was in der Zwischenzeit passiert ist, sondern einfach drauflos plaudert über das was einem durch den Kopf geht, dann weiß man, dass man einen guten Freund gefunden hat.

Sonntag, 27.5.07

Eigentlich viel zu zerstört zum Ausgehen, aber durch den Besuch aus dem Ausland und seine Verstärkung aus Frankfurt in eine Zwangslage gebracht, fand ich mich gegen 22:00 Uhr nach einem arbeitsreichen Tag und einigen Cuba Libre auf der Straße wieder. Noch keine 100m gelaufen hörte ich jemanden laut meinen Nachnamen brüllen und wir wurden gleich darauf von der betont schwulen Sprechstundenhilfe meines Physiotherapeuten dazu genötigt, vor dem Laden seines portugiesischen Freundes eine Weinprobe zu machen, während er uns in Englisch mit feinstem sächsischen Akzent die Vorzüge von Lissabons Darkrooms erläuterte. Davon ebenso abgeschreckt wie inspiriert flüchteten wir uns in den Staubsauger und blieben mehr oder weniger beim Thema. Der Jägermeister im Sonderangebot sorgte dafür, dass auch der Rest der Kneipe an unserem Gespräch teilhaben konnte. Nachdem Cathrin das Angebot eines Anwesenden zum Kickerspielen ausschlug bemerkte dieser frustriert, wir sollten doch einfach nach Hause gehen und vögeln. Als wir dann das Lokal eine dreiviertel Stunde später verließen, ging Cathrin nochmal zu ihm und meinte, das sei gar keine so schlechte Idee gewesen und wir würden das jetzt mal in Angriff nehmen. Sein Gesicht war das eines Mannes der sich gerade ein weiteres Mal bewusst wird, dass das Leben mit Volldampf an ihm vorbeirauscht. Wir freuten uns dagegen und tanzten bei mir zuhause noch zu französischen Schlagern bis die Sonne aufging. Mein kleiner Zeh am linken Fuß tat ziemlich weh und ich fragte mich, ob ich ihn mir wohl bei Grönemeyer gebrochen hatte.

Montag, 28.5.07

Als ich gegen Mittag meine Augen wieder so weit scharf stellen konnte, dass meine Füße erkennbar waren, mußte ich feststellen dass der linke über Nacht signifikant an Größe gewonnen hatte. Das Laufen fiel mir extrem schwer und so blieb mir erspart, meine Freunde durch die Stadt führen zu müssen. Ich würde dann wohl morgen mal zum Arzt gehen müssen.

Dienstag, 29.5.07

Da ja auch arbeiten wieder angesagt war, verließen ich und der Klumpen Fleisch an meinem Bein das Bett schon früh, wie sich herausstellte nur, um die Leiden zu vermehren. Beim Griff zum Klopapier muß ich irgendwo den falschen Schalter betätigt haben, denn als mein Kopf sich wieder nach vorne richtete machte irgendwas “Knack!” und mein Hals verbat sich weitere Bewegungen in jedwede Richtung. Mit dem Schmerz schoß mir die Erkenntnis durch den Kopf, dass ich die Sprechstundenhilfe des Physiotherapeuten in Zukunft noch viel öfter treffen würde. Der Rest des Tages verging ereignislos in Vorzimmern von Arztpraxen und brachte schließlich die Erkenntnis, dass der Fuß nicht gebrochen war, sondern sich eine kleine offene Wunde durch die lange Arbeit im strömenden Regen entzündet hatte. Medikamentenzuzahlungen von insgesamt 60 Euro ließen in mir den Verdacht aufkommen, ich sei in Wirklichkeit totkrank und man wolle mich vorher schnell noch finanziell ausbluten lassen. Die Ereignisse des Tages ließen nicht viel Raum für Gutes, wenig Gutes schien gewillt den restlichen Raum zu füllen. Zumindest musste ich nicht arbeiten gehen.

Mittwoch, 30.5.07

Den Fuß auf einem Polster, rund und rot wie die untergehende Sonne zog ich verschiedene Verschwörungstheorien in Betracht. Irgendwo hatte irgendwer gerade eine Menge Glück und ich war sicher es war meins! Nachmittags teilte ich meiner Chefin mit, sie müsse den Rest der Woche ohne mich auskommen. Um die Sache nicht allzu unrealistisch klingen zu lassen verschwieg ich sogar den eingeklemmten Nerv im Nacken, man will ja nicht als weinerlicher Simulant gelten, und so blieb einzig und allein die Aufgabe, meinen vernachlässigten brasilianischen Freund zum Zug zu bringen, denn so ein Interconnex-Ticket ersteht sich ohne Deutschkenntnisse nicht so leicht. Wir erreichten den Bahnhof gerade rechtzeitig um mich mit einem schweren Koffer über den Zebrastreifen hinkend mit meiner Chefin zusammenstoßen zu lassen. Da der Koffer den Verband an meinem Fuß verdeckte und angesichts seiner Größe ohne zu hinken gar nicht zu tragen gewesen wäre, kann man ihr nicht verdenken, dass sie nicht auf eine Erklärung wartete, sondern mir mit süffisantem Lächeln einen schönen Tag wünschte. Der Haussegen hing noch einige Tage schief, die Tatsache dass ich den Verband in der darauffolgenden Woche immer noch trug und mit einem Bein auf dem Stuhl arbeiten mußte hat sie inzwischen jedoch einigermaßen besänftigt.

Epilog

Irgendwer arbeitet jetzt für eine Berliner Event-Agentur, macht dort coole Sachen und geht Nachts anschaffen, damit er sich das leisten kann. Ich bin es nicht. Mittlerweile sind fast zwei Wochen vergangen und der Fuß fast gänzlich verheilt. Ich schreibe diese letzten Zeilen im Wartezimmer des Hautarztes, der sich die Ursachen der Schwellung mal genauer ansehen soll. Da man mir einen regulären Termin erst im !August! geben wollte, werde ich hier wohl noch ein Weilchen sitzen müssen. Das Handydisplay habe ich zwischenzeitlich für satte 90 Öre austauschen können und vor genau 5 Minuten meine Wasserflasche darauf fallen lassen. Der entstandene Riss führt nur zu einer gewissen Einschränkung der Benutzerfreundlichkeit, beeinträchtigt jedoch nicht die Qualität der geführten Gespräche. Ich kann also mit Fug und Recht behaupten, meine Pechsträhne ist vorbei und sehe der Zukunft mit Freude entgegen.

Mir gehts

Felix

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